EM 2024 Deutschland Nationalmannschaft: Nagelsmann ohne Rücksicht auf mögliche Gelbsperren - WELT (2024)

Dass er von seinen Prinzipien abweichen und auf das Momentum, wie er es gern formuliert, reagieren kann, hat er kurz vor der EM gezeigt. Entgegen seiner Ankündigung, mit vier Torhütern in das Turnier zu gehen, strich Julian Nagelsmann in Alexander Nübel vom VfB Stuttgart noch einen Keeper. Er beließ es bei Manuel Neuer, Marc-André ter Stegen und Oliver Baumann. Der Fußball-Bundestrainer hatte in der Vorbereitung auf den europäischen Wettbewerb gemerkt, dass es wohl besser ist, im endgültigen Kader auf einen weiteren Feldspieler zu setzen.

Nun, da die Europameisterschaft etwas mehr als eine Woche läuft, die deutsche Nationalmannschaft zwei Spiele siegreich bestritten hat und am Sonntag in ihrem letzten Gruppenspiel auf die Schweiz trifft (21 Uhr, ARD, MagentaTV und im WELT-Liveticker), steht Nagelsmann erneut vor der Frage, ob der aktuellen Entwicklung Rechnung tragen soll – oder nicht.

In diesem Fall geht es um die Startelf. Was die betrifft, hatte der Coach vor der EM gesagt, dass die Rollen innerhalb des Kaders klar verteilt und die Spieler darüber auch unterrichtet seien. Sowohl gegen Schottland (5:1) und Ungarn (2:0) hatte Nagelsmann auf dieselbe Anfangsformation gesetzt, während der Partie gegen Ungarn fünf Wechsel vorgenommen, um Spielern aus der zweiten Reihe eine Chance zu bieten, sich zu empfehlen. „Es wird keine sieben Wechsel geben, das kann ich ausschließen“, hatte Nagelsmann unmittelbar nach dem Sieg gegen Ungarn in Stuttgart mit Blick auf die letzte Gruppenpartie gegen die Schweiz gesagt. Und ergänzt: „Generell glaube ich schon, dass es wichtig ist, dass wir möglichst viele Spieler aus der ersten Elf auf dem Platz haben. Wir haben die Rollen bewusst verteilt, weil wir an die Qualitäten der Spieler glauben, die beginnen, aber eben auch derer, die reinkommen.“

Vier deutsche Spieler haben Gelb gesehen

Aber im Spiel gegen die Schweiz geht es nicht nur um den Sieg in der Gruppe A, der über den weiteren Weg im Turnier entscheidet: Es geht vor allem auch darum, dass gleich vier deutsche Spieler gegen die Eidgenossen von einer möglichen Sperre im Achtelfinale bedroht sind. Nagelsmann setzt auf die Eigenverantwortung der Spieler, die bereits eine Gelbe Karte gesehen haben. „Stand jetzt gibt es keine Änderung. Es ist wichtig, dass der Rhythmus beibehalten wird. Auf die Gelbsituation nehme ich keine Rücksicht, weil ich dem Kader vertraue. Wenn ich Spieler wäre und würde nur spielen, weil jemand wegen der Gelben geschont wird, fände ich sowas respektlos. Meine Überzeugung ist, dass man alles hineinwirft. Und wenn jemand gelbgesperrt ist, haben wir einen guten Kader, um wechseln zu können“, sagte Nagelsmann.

Gegen Schottland sahen die Leverkusener Robert Andrich und Jonathan Tah die Gelbe Karte, gegen Ungarn wurden Antonio Rüdiger und Maximilian Mittelstädt verwarnt. Nach zwei Gelben Karten muss ein Akteur ein Spiel aussetzen. So ist es durch den europäischen Verband Uefa geregelt. Kassiert ein Spieler bei dem Turnier eine Gelb-Rote Karte, folgt automatisch eine Sperre von einem Spiel – bei einer Roten Karte kann das Strafmaß je nach Situation variieren.

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Sollte sich ein Spieler gegen die Schweiz die zweite Verwarnung abholen, hat Nagelsmann für das Achtelfinale genügend Alternativen: Pascal Groß könnte im Mittelfeld Andrich ersetzen, in der Innenverteidigung bieten sich Waldemar Anton – dessen bevorstehender Wechsel vom VfB Stuttgart zu Borussia Dortmund am Freitag bekannt wurde – und BVB-Profi Nico Schlotterbeck an. Im Training hätten alle gut mitgezogen, so Nagelsmann über die generelle Verfassung seines Kaders. David Raum von RB Leipzig könnte zumindest theoretisch für Mittelstädt auf der linken Verteidigerposition spielen.

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Und dann kam der Moment, als auch Til Schweigers Lachen gefror

Die Sorgen vor dem Spiel gegen die Schweiz gelten nicht seinem Team, sondern dem Rasen im Frankfurter Stadion, der sich in einem bescheidenen Zustand präsentiert. „Der Rasen ist einfach nicht gut, sehr schmierig, sehr weich. Nach den NFL-Spielen ist er nicht mehr gut angewachsen. Ich mache mir nicht um das Fußballspiel Sorgen, sondern um die Verletzungen. Wenn es blöd läuft, könnten diese mit Kreuzbandrissen enden. Es ist, als würde man im Winter mit Sommerreifen fahren“, sagte Nagelsmann.

Ballacks Gelbe Karte führte zu einer Regeländerung

Das deutsche Achtelfinale findet in Dortmund oder Berlin statt. Nach diesem Viertelfinale werden alle Gelben Karten gelöscht. Damit will die Uefa verhindern, dass ein oder sogar mehrere wichtige Spieler einer Mannschaft in einem Finale gesperrt sind. Was das bedeutet kann, musste die deutsche Fußball-Nationalmannschaft vor 22 Jahren leidvoll erfahren: Im WM-Halbfinale gegen Südkorea, das Deutschland dank eines Tores von Michael Ballack mit 1:0 gewann, war es Ballack, der damals nach einer Grätsche gegen Lee Chunsoo seine zweite Gelbe Karte im Turnier kassierte. Das taktische Foul, mit dem er einen Angriff des Gegners unterbunden hatte, kostete ihn die Finalteilnahme.

„Er hat sich in den Dienst der Mannschaft und des ganzen Landes gestellt. Ganz Deutschland sollte vor ihm den Hut ziehen“, hatte Rudi Völler, der damals Teamchef war und inzwischen Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist, gesagt: „Obwohl er (Ballack, d. R.) wusste, dass er mit einer weiteren Gelben Karte das Finale verpassen würde, hat er dieses absolut notwendige taktische Foul begangen. Er ist heute die tragische Figur. Er war richtig traurig, er hat geweint.“

Auch wenn es für Ballack kein Trost war, trug die Sperre des deutschen Mittelfeldregisseurs Jahre später zu einer Änderung der WM-Regeln bei. Seit 2010 werden – wie auch bei Europameisterschaften – vorherige Verwarnungen nach den Viertelfinals gestrichen.